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Thea die Eismaschine - ein modernes Wintermärchen



Es war einmal eine kleine Eismaschine. Thea hieß sie. Ursprünglich stand sie im Schaufenster eines Geschäftes, zusammen mit vielen anderen Küchengeräten. Als eine Familie sie kaufte und in ihrer Küche das erste mal verwendete, erwachte sie ganz heimlich zum Leben.
Aber nein, Thea wollte ihre Menschen nicht erschrecken. Und so tat sie, wie jedes andere Elektrogerät in Anwesenheit der Menschen, nichts Außergewöhnliches. Sie redete nicht und schunkelte auch nicht im Sonnenschein, der sie jeden Tag durch das Küchenfenster beschien.
Immer dann, wenn der Sonnenschein besonders warm wurde, kamen die Menschen zu ihr und sie durfte das tun, was sie am liebsten tat: Eiscreme, Sorbets, Frozen Yogurt und all die anderen frostigen Köstlichkeiten. Thea produzierte ein Eis nach dem anderen und war glücklich auf der Welt und bei dieser Familie zu sein.

Dann plötzlich aber war die Familie nicht mehr da und Thea durfte kein Eis mehr machen. Unruhig rutschte sie auf der Arbeitsplatte hin und her. Von dem Gerumpel fühlte sich die sonst sehr wortkarge Mikrowelle im Regal über ihr sehr gestört. “Monster” wurde sie von den Kindern der Familie genannt.
“Jetzt halt doch mal endlich still!”, schnauzte Monster Thea an, “Kannst du nicht eine Minute ruhig stehen bleiben?” “Ich vermisse die Familie und die Kinder so sehr.” antwortete Thea. “Die Familie ist im Urlaub.” meinte Monster und ahmte die Stimme des Anrufbeantworters nach: “Wir, die Hanses, sind derzeit im Urlaub. Bitte hinterlassen Sie nach dem Piepton eine Nachricht. Piiiiieeeeeeeep…” “Sie kommen also wieder?”, unterbrach Thea die Mikrowelle, hicksend vor Freude. “Natürlich, “ Thea wollte schon jubeln, “aber freu dich nicht zu früh. Jedes Jahr nach dem Sommerurlaub fängt die Mutter an, manche Geräte in den Abstellraum zu stellen und seitdem wurden sie nie wieder gesehen. Mich hat sie allerdings noch nie weggeräumt!” betonte Monster und nickte selbstzufrieden.
Thea fand Monster gar nicht nett. Wie konnte er ihr so etwas sagen? Ihr, der Eismaschine, die den Kindern und überhaupt der ganzen Familie und allen Gästen so viel Spaß und Freude bereitet. Nein! Ein Leben im dunklen kalten Abstellraum wollte sich Thea gar nicht vorstellen. Sie glaubte Monster einfach nicht und als ein paar Tage später die Familie wieder da war, hatte sie die warnenden Worte der Mikrowelle auch schon fast wieder vergessen.

Wie zuvor durfte Thea eine Eissorte nach der anderen produzieren, aber die Zeiträume zwischen ihren Einsätzen wurden immer länger. Und dann kam der Tag, vor dem Monster sie gewarnt hatte. Thea ahnte von nichts während die Mutter der Familie war dabei die Küche zu säubern. Auch Thea wurde mit einem weichen Lappen abgewischt. Das kitzelte. Aber dann wurde Thea hochgehoben und durch den Raum getragen. Ihr wurde ganz schwindelig. “Das wird doch jetzt nicht… Nein, das kann nicht sein.” Thea wagte es nicht zu denken, aber die Worte von Monster kamen ihr wieder in den Sinn.
Nun waren sie beide bereits vor einer weiteren Tür angekommen. Die Mutter öffnete die Tür und Thea schlug ein muffiger Geruch entgegen. Mit Thea auf dem Arm betrat die Frau den Raum und stellte sie auf einem Regal ab. Dann machte sie das Licht wieder aus und verließ den Raum. “NEIN!!!” wollte Thea ihr hinterherrufen, “las mich hier nicht zurück!” Aber es hatte keinen Sinn. Die Mutter konnte sie schon nicht mehr hören.
Nach einer kleinen Weile in der Stille des Raumes hörte Thea leise Geräusche. Ein Kratzen und viele kleine leise Stimmchen. Und plötzlich durchbrach ein Lichtschein die Dunkelheit direkt neben Thea. Eine kleine Schreibtischlampe stand neben ihr und blickte sie neugierig an. “Guckt mal eine Neue” rief sie und nun entdeckte Thea auch die ganzen anderen Geräte. Der ganze kleine Abstellraum war vollgestopft mit ihnen. Manche davon erkannte Thea. Ein Waffeleisen, ein Grill, ein Entsafter und direkt nebendran eine Saftpresse, eine Popcornmaschine und viele andere Geräte belagerten die Regale und schauten sie neugierig an. “Waren sie alle hier beiseite gestellt worden, so wie Monster erzählt hatte?” überlegte Thea. Aber die Schreibtischlampe lies ihr keine Zeit zum grübeln. “Was bist du denn?” unterbrach die Schreibtischlampe ihre trüben Gedanken. “Ich heiße Bella und du?” fragte sie gleich weiter. “Ich heiße Thea und ich bin eine Eismaschine. Ich mache Eis!” verkündete Thea stolz. Stolz darauf, dass sie so etwas konnte und dass die Familie sie liebte… zumindest bis vor Kurzem… bis vor dem Urlaub und bis sie nun hier in den kleinen Abstellraum gestellt wurde. Thea wurde wieder traurig, aber Bella bemerkte das gar nicht und schwatze munter weiter. “Oh, na das ist ja etwas tolles. Ich mache Licht”, sagte sie stolz, “also zumindest… ach, egal. Das da drüben ist übrigens Otto. Fühl dich hier wie zu Hause.” Thea schaute in die andere Ecke des Regalfachs auf dem sie stand und entdeckte ein… tja, ein Ding. Es war außergewöhnlich klein für ein Gerät. Es hatte achtBeine, es war schwarz und schaute Thea sehr neugierig an. “Nein, ein Gerät war es wohl nicht. Immerhin hatte es kein Stromkabel, aber trotzdem hing dieses Ding an einem Faden.” überlegte Thea. Aber ihre Gedanken schweiften schon wieder ab zu dieser Dunkelheit hier im Abstellraum und der Kälte. Thea fröstelte und wurde nun wirklich sehr traurig.
Ab und zu bekamen die Geräte und Otto, die Spinne, Besuch und die Mutter oder eines der anderen Familienmitglieder kamen herein, um etwas zu holen. Niemals aber war es eines der hier abgelegten Geräte. Dennoch schöpfte Thea bei jedem dieser Besuche immer wieder von neuem Hoffnung, dass sie wieder mit nach draußen genommen werden würde. Aber leider war dem nicht so. Nach und nach verlor nun auch Thea immer mehr die Hoffnung und auch ihr Zeitgefühl. Es war ja immer stockdunkel im Raum und es gab kein Fenster durch das die Sonne hereinscheinen hätte können. Den Sonnenschein, den vermisste Thea sehr. Aber noch viel mehr die Kinder und die Familie, wie sie vor Ewigkeiten um Thea herum standen und auf das Eis warteten.


Eines Abends aber hörte man lautere Stimmen von draußen bis hinein in den Abstellraum. Besuch hatte sich angekündigt. Und die Familie beratschlagte unter großer Diskussion was am nächsten Tag zu Essen geben sollte.
Thea lauschte gespannt. Immerhin waren es die Stimmen der geliebten Familie. Und auch wenn Thea nicht verstand von was sie redeten, sie liebte diese Stimmen und sie freute sich sie wieder zu hören.
Aber halt… war da nicht gerade das Wort “Eis” gefallen? Der Nachtisch wurde diskutiert. Plätzchen, Kuchen, Torte, Stollen. Die Familie schien sich nicht so recht einigen zu können. Aber das Wort “Eis” war gefallen, darauf hätte Thea schwören können. Und so schöpfte sie wieder ein bisschen Hoffnung und aufgeregt flüsterte sie zu Otto: “Hast du das gehört? Sie haben von Eis geredet.” Otto schaute sie mit großen Augen an und wippte zustimmend in seinem Netz. “Mach die keine zu großen Hoffnungen”, meinte der Grill. “Was meinst du, wie oft sie schon vom Grillen gesprochen hatten und was war? Nichts. Ich stehe immer noch hier herum.” Die anderen Geräte grummelten zustimmend. Jeder hier hatte inzwischen gelernt sich keine all zu großen Hoffnungen zu machen die Küche, den Garten und auch eines der anderen Zimmer außerhalb des Abstellraumes je wieder zu sehen. Thea konnte sie verstehen, aber dennoch war ein kleiner Funke Hoffnung vorhanden und an diesem hielt sich Thea ganz fest.

Am nächsten Morgen öffnete sich die Tür zur Abstellkammer und die Mutter der Familie kam herein. Sie sah nun anders aus. Sie trug keine leichten Sommerkleidchen mehr, sondern war dick eingepackt in einem Rollkragenpullover und auch eine lange Hose hatte sie an. Thea wunderte sich. Aber zum Wundern hatte sie gar keine Zeit. Schon pustete die Mutter sanft den Staub von Thea ab, nahm sie auf den Arm und verließ mit ihr den Abstellraum. “Du Glückspilz!” rief ihr Bella hinterher. Aber schon waren die verlassenen Geräte nicht mehr zu hören.
In der Küche wurde Thea wieder an ihren alten Platz gestellt und die Mutter säuberte sie erst einmal gründlich. Der Vater brummelte etwas davon, ob die Eismaschine denn überhaupt noch funktionieren würde. Aber Thea war in Topform. Sie konnte es kaum erwarten, endlich wieder Eis machen zu dürfen. Und tatsächlich bekam Thea nach nur wenigen Minuten ihren tiefgekühlten Einsatz. Die Mutter mixte gemeinsam mit den Kindern eine leckere Mixtur für Thea zusammen und schon durfte Thea arbeiten.
Das machte Thea dieses mal besonders vorsichtig und gleichzeitig war sie glückselig. Denn es war wieder wie damals, vor dem großem Sommerurlaub der Familie. Sie stand in der mollig warmen Küche, bei ihrer Familie und die Kinder schauten gespannt zu, wie Thea behutsam die Eismasse immer weiter umrührte, bis es ein tolles cremiges Eis entstanden war.
Die Mutter füllte die Eiscreme in ein Behältnis und gab sie bis zum Abend noch in den Tiefkühler. Thea wurde gesäubert und… nein, es passierte nichts. Sie wurde nicht wieder in den Abstellraum getragen. Sie durfte bleiben.

Während die abendlichen Gäste zusammen mit der Familie im Essbereich vor sich hin schmausten, hatte Thea die Küche für sich allein und konnte sich nun doch endlich etwas umsehen. Es hatte sich einiges verändert. Da gab es bunte Dosen auf den Regalen, geschmückt mit Sternen und Tannenbäumen. Das Fenster war ebenfalls mit Sternen verziert worden und ein kleiner Lichterbogen auf der Fensterbank beleuchtete Thea nun in der Dunkelheit. Die ganze Küche duftete nach weihnachtlichen Gewürzen, Plätzchen, Stollen und allen möglichen anderen Leckereien. Und Monster? Ja, Monster war auch noch da… Er diente als zusätzliche Abstellfläche für ein Backblech belegt mit Lebkuchen. Das gefiel ihm gar nicht und entsprechend mürrisch war er. Aber das kümmerte Thea nicht. Sie sah zum Fenster hinaus und betrachtete den Nachthimmel.
Später hörte Thea wieder die Stimmen der Familie und ihres Besuchs. Oh, Moment. Was wurde da gesagt? Die Mutter wurde gelobt für den Einfall ein Eis zu servieren. “Das Eis war wirklich besonders lecker” meinte eine männliche Stimme. “Es war eine großartige Idee. Es hat hervorragend zu allem anderen gepasst und wir hatten seit dem Sommer kein Eis mehr gegessen.” ergänzte eine weibliche Stimme. Theas Herz hüpfte vor Freude. “Ja, ich werde die Eismaschine sicher nicht mehr so schnell wegstellen. Es ist wirklich ein einfaches Dessert, so ein Eis und eine willkommene Abwechslung zu alle den Plätzchen, Stollen und Co. ist es auch. Wenn ihr das nächste Mal vorbei kommt, machen wir wieder ein Eis.” Thea erkannte die Stimme der Mutter und tanzte vor Freude die Arbeitsfläche auf und ab.
Die Gäste gingen und es wurde ruhig in den Zimmern. Thea war glücklich und betrachtete weiter den Nachthimmel. Auch wenn sie selbst Eis produzierte, hatte sie noch nie Schnee gesehen. Und so funkelte und glitzerte nicht nur der Nachthimmel sondern auch die schneebedeckten Bäume, das Gras und auch alles andere was mit der weißen Pracht überzogen war. Es war wunderschön.
Und da, was war denn das? Thea entdeckte Sternschnuppen am Nachthimmel. Nein, nicht nur eine. Ganz viele. Und so wünschte Thea ganz schnell allen ihren Freunde aus der Abstellkammer ein genauso großes Glück wie sie selbst es nun hatte.
Und sich selbst? Na, was wird sich Thea da wohl gewünscht haben? Genau, dass sie auch jetzt im Winter und im Frühling, Sommer und Herbst ganz viel Eis machen darf und nie mehr wieder in den Abstellraum gestellt wird.


~ Ende ~